13. Juni 2023: Viel Wind um Mairi’s Wedding?
Nach einem etwas verspäteten Start (Verkehr …) erlebten wir heute Jans zweite Premiere als Tanzlehrer. Außerdem: Das “Scot t Fest” am 8.7. in Mainz wirft seine Schatten voraus.
Das Loch Fyne ist ein Meeresarm im Westen von Schottland, berühmt für seine Heringe. Deswegen ist der bestimmte Artikel am Anfang des Tanznamens so wichtig, denn wie jemand meinte “Wind on Loch Fyne is what happens if you’ve had too much herring in Inveraray”. Aber in Wirklichkeit ist Wind on Loch Fyne der Titel einer 1948 erschienenen Gedichtsammlung von George Campbell Hay (1915-1984). Hay war ein makar (Dichter), der dem Symbolismus zugeordnet wird und der Gedichte in Gälisch, Schottisch, Englisch, Französisch, Italienisch und Norwegisch schrieb. Sein schottischer Nationalismus grenzte schon fast an Faschismus, auch wenn er ansonsten eher zum Kommunismus tendierte, und er hatte Zeit seines Lebens mit psychischen Problemen zu kämpfen, die ihn über lange Zeit ins Krankenhaus brachten. Hay stammte aus Tarbert am Loch Fyne (sein Vater war der Schriftsteller John MacDougall Hay), aber lebte später – und starb schließlich – in Edinburgh. Obwohl er nur drei Gedichtsammlungen veröffentlichte (alle zwischen 1947 und 1952) und immer wieder länger völlig schwieg, gehört er zu den größten schottischen Dichtern des 20. Jahrhunderts.
Culla Bay ist auf der Insel Benbecula, die als Teil der Äußeren Hebriden zwischen den Inseln North Uist und South Uist liegt. Benbecula ist ungefähr 12 km breit und genauso lang, und dort wohnen ungefähr 1300 Menschen. Besiedelt seit der Jungsteinzeit lebten dort Pikten, ab dem 9. Jahrhundert gehörte Benbecula als Teil des Wikingerreiches Suðreyjar offiziell zu Norwegen und fiel erst 1266 durch den Vertrag von Perth wieder an Schottland zurück.
1746 wurde Benbecula in die Ausläufer des Jakobitenaufstands verwickelt: Flora MacDonald (1722-1790) war zu Besuch auf der Insel, wo ihr Stiefvater Hugh eine hannoversche Miliz kommandierte, als Prinz Charles Edward Stuart (“Bonnie Prince Charlie”) auf der Flucht nach der Niederlage von Culloden dort ankam. Der Prinz und einige wenige Begleiter mussten wegen eines Sturms in Benbecula an Land gehen, und Captain Conn O’Neill, ein entfernter Verwandter von Flora, bat diese um Hilfe. Als Stieftochter des Inselkommandanten war sie natürlich in einer guten Position, die nötigen Papiere zu erlangen, aber sie zögerte zunächst, weil sie ihre Familie nicht in Gefahr bringen wollte (wobei die Gefahr wohl nicht so groß war – Zeugen zufolge soll Hugh dem Prinzen erklärt haben, wo er sich am besten vor Hughs Suchtruppen verstecken konnte). Letztendlich wurden Passierscheine ausgestellt, die Flora, einer sechsköpfigen Bootsbesatzung und zwei persönlichen Bedienten die Reise aufs schottische Festland gestatteten; eine der letzteren war “Betty Burke”, der als irische Magd verkleidete Charles Edward. So gelangte der Bonnie Prince over the sea to Skye, wo der Verwalter, MacDonald of Kingsburgh, ihn dringend aufforderte, seine Verkleidung abzulegen, weil sie ihn nur noch auffälliger machte. Der Prinz entkam nach Frankreich, aber die ganze Sache flog rückwirkend auf und Flora und Kingsburgh wurden in den Tower von London gesperrt. Sie kam erst 1747 wieder frei, und adlige Bewunderer sammelten £1500 für sie, darunter auch Frederick, der Prince of Wales. Ihm erklärte sie angeblich, sie hätte Charles Edward nur aus Nächstenliebe geholfen und, falls nötig, dasselbe auch für Frederick getan. – 1750 heiratete sie Allan MacDonald, Kingsburghs ältesten Sohn, mit dem sie 1774 nach North Carolina auswanderte. Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg standen die MacDonalds auf der Seite der Briten, so dass sie ihren Grundbesitz verloren und 1780 nach Schottland zurückkehrten; Flora starb 1790 und ist in Kilmuir auf der Insel Skye begraben.
Man ist geneigt, der Musik für den Tanz das Prädikat “altes schottisches Volkslied” zu verleihen, aber man würde sich auch da, wie so oft, kapital irren. Der ursprüngliche gälische Text wurde 1935 von John Roderick Bannerman (1865–1938) gedichtet, zu Ehren der Sängerin Mary C. MacNiven (1905–1996), Gewinnerin einer Goldmedaille beim National Mod von 1934, aus Portnahaven von der Insel Islay, die allerdings erst 1941 tatsächlich heiratete (den Kapitän John Campbell). Der weitaus geläufigere englische Text von 1936 stammt von Sir Hugh S. Roberton (1874–1952), dem Gründer des Glasgow Orpheus Choir, und hat nur vage mit dem gälischen Original zu tun.
Tanz und Musik passen außerdem nicht gerade gut zusammen – Refrain und Strophen haben je 8 Takte, aber der Tanz hat 40 Takte und die eigentlich 16 Takte lange Reel-of-Four-Figur in der Mitte. Es wäre natürlich nett, wenn man für die Takte 9 bis 24 dieselben acht Takte zweimal spielen könnte (so wie die Tänzer:innen ja auch mehr oder weniger dieselben acht Takte zweimal tanzen), aber da die Musik mit dem Refrain anfängt, hätte man dann “Refrain - Strophe - Strophe - …?”, und das wäre merkwürdig. Deswegen macht das auch (fast) niemand so. Statt dessen nehmen wir in Kauf, dass die zweiten beiden Reels auf andere Musik getanzt werden als die ersten; wiederholt werden nur die letzten acht Takte des Tanzes, wo es anscheinend weniger auffällt, dass das die Strophe ist. Zumindest für diejenigen, die (im Kopf oder laut) mitsingen, ist es aber trotzdem irgendwie strange.
Viele Leute schreiben den Tanznamen gerne Mhairi’s Wedding, vermutlich weil das “gälischer” aussieht. “Mhairi” ist aber schon der Genitiv von “Mairi” (so dass das grammatisch nicht passt) und wird außerdem “Vari” ausgesprochen. Also besser sein lassen.
# | Name | Type | Set | Source | |
---|---|---|---|---|---|
1 | Gaelforce Wind | J32 | 3/4L | Haynes: RSCDS Graded 3 | |
2 | The Wind on Loch Fyne | S32 | 3T | Dickson: RSCDS 30 popular, Vol 2 | |
3 | Forty and Counting | R40 | 3/4L | Brown: RSCDS LII | |
4 | Culla Bay | S32 | 4S | Dix: RSCDS XLI | |
5 | Mairi's Wedding | R40 | 3/4L | Cosh: 22 SCD |
Text: Anselm Lingnau · Fotos: Anselm Lingnau, oder wie angegeben