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13. Juni 2023: Viel Wind um Mairi’s Wedding?

Nach einem etwas verspäteten Start (Verkehr …) erlebten wir heute Jans zweite Premiere als Tanzlehrer. Außerdem: Das “Scot t Fest” am 8.7. in Mainz wirft seine Schatten voraus.

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Manche Dienstage sind eben so. Ob es am Cirque du Soleil lag, dass der Straßenverkehr sich zwischen Ratswegkreisel und Saalburg-/Wittelsbacherallee nur im Kriechgang fortbewegte? Egal, immerhin ist es gut, dass, als ich schließlich mit hängender Zunge die Herderschule erreiche, Jan schon mit der Aufwärmrunde angefangen hat. Er behält dann auch einfach das Wort für Schritt- (pas de basque) und Figuren-Übung (Set & Link) und schließlich Derek Haynes’ Tanz, Gaelforce Wind. Hier greifen wir auch die Men’s Chain von letzter Woche nochmal auf. Jan schlägt sich tapfer und schafft es souverän, die Gruppe durch den Tanz zu dirigieren. – Der Tanz bekommt seinen Namen von der Musik, einem fingerverbiegenden Dudelsackstück von P/M Robert Mathieson (“P/M” steht hier nicht für “Premierminister”, sondern für “Pipe Major”; ein Pipe Major ist der Leiter einer Dudelsackkapelle). Mathieson leitete von 1986 bis 2010 die Shotts and Dykehead Caledonia Pipe Band, eine Hochleistungs-Dudelsackkapelle, mit der er fünfmal die Weltmeisterschaft gewann.

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Wir bleiben nochmal beim Thema “Wind”, mit dem Tanz The Wind on Loch Fyne von John Bowie Dickson. Ursprünglich veröffentlicht im Dunedin Dances Book 1 handelt es sich hier eindeutig um einen “modernen Klassiker”, einen Strathspey für drei Paare in einem dreieckigen Set. Wir üben im großen Kreis “für alle” die Interlocking Reels of Four (eigentlich nichts Neues) und die Kreisfigur (Set, Kreis, beidhändige Drehung, Kreis), bevor wir uns in zwei Dreipaarsets aufteilen und uns dem eigentlichen Tanz widmen – im Vorgriff auf das “Scot t Fest” an der Uni Mainz am 8.7., wo wir zusammen mit den Mainzer Narhalla Dancers höchstwahrscheinlich diesen Tanz (und ein paar andere) aufführen werden.

Am Loch Fyne
Am Loch Fyne
Das Loch Fyne ist ein Meeresarm im Westen von Schottland, berühmt für seine Heringe. Deswegen ist der bestimmte Artikel am Anfang des Tanznamens so wichtig, denn wie jemand meinte “Wind on Loch Fyne is what happens if you’ve had too much herring in Inveraray”. Aber in Wirklichkeit ist Wind on Loch Fyne der Titel einer 1948 erschienenen Gedichtsammlung von George Campbell Hay (1915-1984). Hay war ein makar (Dichter), der dem Symbolismus zugeordnet wird und der Gedichte in Gälisch, Schottisch, Englisch, Französisch, Italienisch und Norwegisch schrieb. Sein schottischer Nationalismus grenzte schon fast an Faschismus, auch wenn er ansonsten eher zum Kommunismus tendierte, und er hatte Zeit seines Lebens mit psychischen Problemen zu kämpfen, die ihn über lange Zeit ins Krankenhaus brachten. Hay stammte aus Tarbert am Loch Fyne (sein Vater war der Schriftsteller John MacDougall Hay), aber lebte später – und starb schließlich – in Edinburgh. Obwohl er nur drei Gedichtsammlungen veröffentlichte (alle zwischen 1947 und 1952) und immer wieder länger völlig schwieg, gehört er zu den größten schottischen Dichtern des 20. Jahrhunderts.

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Malcolm Brown auf der Saalburg, 2009
Malcolm Brown auf der Saalburg, 2009
Nach der Pause befassen wir uns mit einem relativ neuen Tanz – Malcolm Brown aus Dunnington in der Nähe von York schrieb Forty and Counting anläßlich des 40. Jubiläums der RSCDS York and North Humberside Branch 2015; die Society veröffentlichte den Tanz 2018 im Buch 52. Malcolm selbst – dem wir auch andere beliebte Tänze verdanken, etwa Links with St Petersburg aus Buch 46 – ist ein genialer Tanzlehrer und man würde kaum glauben, dass er vor ein paar Wochen selber die “zweiten Vierzig” vollgemacht hat. Der Tanz selbst ist natürlich 40 Takte lang und enthält zweimal (!) die chaperoned chain progression (oder, wie die Society sie nüchterner nennt, die chain progression for three couples), bei der zwei Paare je eine Dreivierteldrehung mit rechts machen und die “äußere” Person dann von einem Mitglied eines dritten Paars abgeholt und ans andere Ende der Figur begleitet wird, während die beiden “inneren” Personen anderthalbmal mit links drehen, so dass sie am anderen Ende ihre:n Partner:in wiedertreffen. Normalerweise – in Tänzen wie Linnea's Strathspey – nimmt das 1. Paar die “Abholfunktion” ein, aber dieser Tanz hat eine interessante Variante auf der Diagonalen, bei der das 1. Paar erst von den zweiten und später dann von den ersten Corners abgeholt wird. Dazwischen gibt es ein hello-goodbye setting und am Schluss noch diagonale halbe reels of four. Der Tanz ist einfacher, als er scheint, solange man nicht zuviel nachdenkt! Aber er hat definitives Potenzial dafür, ein Dauerbrenner zu werden.

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Ebenfalls ins Repertoire der Frankfurter Auftrittstänze gehört Culla Bay, erfunden von der viel zu früh verstorbenen Ann Dix und veröffentlicht erst in ihrer Sammlung Reel Friends und später dann im RSCDS-Buch 41. Wie viele von Anns Tänzen verwendet Culla Bay einfache Figuren, die geschickt kombiniert sind und ein interessantes Gesamtbild ergeben. Gleichzeitig gibt es aber viele Gelegenheiten für technisch hervorragendes Tanzen, so dass der Tanz auch für fortgeschrittene Tänzer:innen eine Herausforderung darstellt.

Culla Bay ist auf der Insel Benbecula, die als Teil der Äußeren Hebriden zwischen den Inseln North Uist und South Uist liegt. Benbecula ist ungefähr 12 km breit und genauso lang, und dort wohnen ungefähr 1300 Menschen. Besiedelt seit der Jungsteinzeit lebten dort Pikten, ab dem 9. Jahrhundert gehörte Benbecula als Teil des Wikingerreiches Suðreyjar offiziell zu Norwegen und fiel erst 1266 durch den Vertrag von Perth wieder an Schottland zurück.

Flora MacDonald
Flora MacDonald (Allan Ramsay, c. 1749–50, gemeinfrei)
1746 wurde Benbecula in die Ausläufer des Jakobitenaufstands verwickelt: Flora MacDonald (1722-1790) war zu Besuch auf der Insel, wo ihr Stiefvater Hugh eine hannoversche Miliz kommandierte, als Prinz Charles Edward Stuart (“Bonnie Prince Charlie”) auf der Flucht nach der Niederlage von Culloden dort ankam. Der Prinz und einige wenige Begleiter mussten wegen eines Sturms in Benbecula an Land gehen, und Captain Conn O’Neill, ein entfernter Verwandter von Flora, bat diese um Hilfe. Als Stieftochter des Inselkommandanten war sie natürlich in einer guten Position, die nötigen Papiere zu erlangen, aber sie zögerte zunächst, weil sie ihre Familie nicht in Gefahr bringen wollte (wobei die Gefahr wohl nicht so groß war – Zeugen zufolge soll Hugh dem Prinzen erklärt haben, wo er sich am besten vor Hughs Suchtruppen verstecken konnte). Letztendlich wurden Passierscheine ausgestellt, die Flora, einer sechsköpfigen Bootsbesatzung und zwei persönlichen Bedienten die Reise aufs schottische Festland gestatteten; eine der letzteren war “Betty Burke”, der als irische Magd verkleidete Charles Edward. So gelangte der Bonnie Prince over the sea to Skye, wo der Verwalter, MacDonald of Kingsburgh, ihn dringend aufforderte, seine Verkleidung abzulegen, weil sie ihn nur noch auffälliger machte. Der Prinz entkam nach Frankreich, aber die ganze Sache flog rückwirkend auf und Flora und Kingsburgh wurden in den Tower von London gesperrt. Sie kam erst 1747 wieder frei, und adlige Bewunderer sammelten £1500 für sie, darunter auch Frederick, der Prince of Wales. Ihm erklärte sie angeblich, sie hätte Charles Edward nur aus Nächstenliebe geholfen und, falls nötig, dasselbe auch für Frederick getan. – 1750 heiratete sie Allan MacDonald, Kingsburghs ältesten Sohn, mit dem sie 1774 nach North Carolina auswanderte. Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg standen die MacDonalds auf der Seite der Briten, so dass sie ihren Grundbesitz verloren und 1780 nach Schottland zurückkehrten; Flora starb 1790 und ist in Kilmuir auf der Insel Skye begraben.

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Zum krönenden Abschluss und auch im Sinne der Auftrittsvorbereitung holen wir noch Mairi's Wedding wieder hervor, das abgenudelte Machwerk von James B Cosh (Urheber vieler beliebter Tänze, zum Beispiel auch The Irish Rover und The Garry Strathspey). Ich persönlich bin kein besonderer Fan dieses Tanzes, nicht nur weil er so viel getanzt wird, sondern weil die volkstümliche Version
Mairi's Wedding: mit linken Schultern
Mairi's Wedding: mit linken Schultern
nicht der Originalbeschreibung entspricht – und als Tanzlehrer und -erfinder bin ich grundsätzlich dafür, dass man Tänze so tanzt, wie sie ursprünglich gemeint waren! Stein des Anstoßes sind natürlich die Schultern zwischen den halben diagonalen reels of four; die Originalbeschreibung (siehe Bild) läßt da keine Zweifel offen, aber getanzt wird der Tanz dennoch gerne und oft mit rechten Schultern (bis hin zu dem Versuch, dieser Variante unter dem Namen “Mairi’s Divorce” einen halbwegs offiziellen Status zu verleihen). Zugegebenermaßen ist das kein großes Ding und betrifft auch nur das tanzende Paar – das sich aber einig sein sollte, ob links oder rechts, denn was mit Sicherheit nicht geht, ist die “mittlere Schulter” –, aber irgendwie geht es auch ums Prinzip. Und Jimmy Cosh (auch wenn er nicht mehr in einer Position ist, sich zu beschweren) war die Sache anscheinend wichtig.

Man ist geneigt, der Musik für den Tanz das Prädikat “altes schottisches Volkslied” zu verleihen, aber man würde sich auch da, wie so oft, kapital irren. Der ursprüngliche gälische Text wurde 1935 von John Roderick Bannerman (1865–1938) gedichtet, zu Ehren der Sängerin Mary C. MacNiven (1905–1996), Gewinnerin einer Goldmedaille beim National Mod von 1934, aus Portnahaven von der Insel Islay, die allerdings erst 1941 tatsächlich heiratete (den Kapitän John Campbell). Der weitaus geläufigere englische Text von 1936 stammt von Sir Hugh S. Roberton (1874–1952), dem Gründer des Glasgow Orpheus Choir, und hat nur vage mit dem gälischen Original zu tun.

Tanz und Musik passen außerdem nicht gerade gut zusammen – Refrain und Strophen haben je 8 Takte, aber der Tanz hat 40 Takte und die eigentlich 16 Takte lange Reel-of-Four-Figur in der Mitte. Es wäre natürlich nett, wenn man für die Takte 9 bis 24 dieselben acht Takte zweimal spielen könnte (so wie die Tänzer:innen ja auch mehr oder weniger dieselben acht Takte zweimal tanzen), aber da die Musik mit dem Refrain anfängt, hätte man dann “Refrain - Strophe - Strophe - …?”, und das wäre merkwürdig. Deswegen macht das auch (fast) niemand so. Statt dessen nehmen wir in Kauf, dass die zweiten beiden Reels auf andere Musik getanzt werden als die ersten; wiederholt werden nur die letzten acht Takte des Tanzes, wo es anscheinend weniger auffällt, dass das die Strophe ist. Zumindest für diejenigen, die (im Kopf oder laut) mitsingen, ist es aber trotzdem irgendwie strange.

Viele Leute schreiben den Tanznamen gerne Mhairi’s Wedding, vermutlich weil das “gälischer” aussieht. “Mhairi” ist aber schon der Genitiv von “Mairi” (so dass das grammatisch nicht passt) und wird außerdem “Vari” ausgesprochen. Also besser sein lassen.

#NameTypeSetSource
1Gaelforce WindJ323/4LHaynes: RSCDS Graded 3
2The Wind on Loch FyneS323TDickson: RSCDS 30 popular, Vol 2
3Forty and CountingR403/4LBrown: RSCDS LII
4Culla BayS324SDix: RSCDS XLI
5Mairi's WeddingR403/4LCosh: 22 SCD

Text: Anselm Lingnau · Fotos: Anselm Lingnau, oder wie angegeben