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5. Dezember 2023: Schneeflocken für Nikolaus

Gestern war das Wetter winterlich und heute vor allem verregnet. Trotzdem tanzen wir ein paar von Wetterlage und Datum inspirierte Tänze.

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Where the Snowflake Reposes ist ein Tanz aus dem Deeside Book (Teil 1) von John Drewry. Das Buch – und der dazugehörige zweite Teil – enthalten Tänze, die inspiriert sind von Landmarken entlang des Flusses Dee, von seiner Quelle in den Cairngorm-Bergen bis zur Mündung in die Nordsee bei Aberdeen; wir haben auch schon andere Tänze daraus getanzt (zuletzt etwa Ferla Mor). Eigentlich sieht der Tanz gar nicht so schwierig aus, aber anscheinend hat er so seine Tücken. Der Trick besteht in der folgenden Beobachtung: Zum Beispiel als 1. Herr tanzt man auf Takt 1–4 nach unten durch den Platz der 3. Dame und muss dann relativ zwangsläufig auch den Teapot auf Takt 5–8 in der unteren Hälfte des Sets tanzen (mit der 2. Dame und dem 3. Herrn. Mit anderen Worten: Der 1. Herr settet auf die 2. Dame zu, nimmt deren rechte Hand und lässt sie nicht mehr los bis zum Ende des Teapots (wo sie darauf achten muss, auf ihre eigene Seite zurückzutanzen und bereit zu sein für den 3. Herrn). Startet man als Corner dagegen nach oben, tanzt man auch den Teapot in der oberen Hälfte des Sets.

Beinn Chìochan und Lochan na Gaire
Beinn Chìochan und Lochan na Gaire (Ian Watson, CC BY-SA 2.0)
Der Titel stammt aus dem Gedicht Lachin Y Gair (Dark Lochnagar) von Lord Byron:

Away, ye gay landscapes, ye gardens of roses,
In you let the minions of luxury rove,
Restore me the rocks where the snow-flake reposes,
Though still they are sacred to freedom and love.
Yet Caledonia, beloved are thy mountains,
Round their white summits though elements war,
Though cataracts foam 'stead of smooth-flowing fountains,
I sigh for the valley of dark Loch na Garr.
(usw.)

Das Gedicht wurde unter anderem von Beethoven vertont, und Georg Pertz (1830–1870) übersetzt die erste Strophe (singbar) wie folgt:

Fort lachen die Fluren und Rosengefilde,
Dort ruhe der Liebling der Wollust sich aus;
Mich locken im Schneekleid die Felsengebilde,
Die Stätte, wo Liebe und Freiheit zu Haus.
O Schottland, wie reich ist dein Bergland an Wonnen,
Umbraust seine Scheitel auch Sturm immerdar,
Ob Sturzbäche schäumen statt plätschernder Bronnen,
Doch sehnt sich mein Herz nach dem Tal Lochnagar.

Lochnagar (eigentlich Beinn Chìochan) ist ein 1155 m hoher Berg in den Cairngorms, ungefähr 8 km südlich des Flusses Dee. Der Berg gehört zu den Ländereien des königlichen Schlosses Balmoral. “Lochnagar” bezieht sich eigentlich auf einen kleinen See am Nordosthang des Bergs, Lochan na Gaire; der gälische Name – wörtlich übersetzt “Berg der Brüste”, war für prüde viktorianische Gemüter womöglich ein bisschen heftig. (Es kommt noch schlimmer: Der Gipfel heißt Cac Càrn Beag, zu deutsch “kleiner Haufen Sch…e”. Die Highlander hatten, wenn es um Ortsnamen ging, mitunter anscheinend einen relativ derben Humor.) Lochnagar zählt zu den “Munros”, also den schottischen Bergen über 3000 Fuß Höhe, und ist ein relativ populäres, aber nicht zu unterschätzendes Ziel für Bergwanderer.

George Gordon Byron, der 6. Baron Byron (1788–1824) war ein englischer Dichter und einer der führenden Köpfe der britischen Romantik. Sein Vater war der – relativ verkrachte – Kapitän John (“Jack”) Byron und seine Mutter Catherine Gordon of Gight (Gight ist ein Gut in Aberdeenshire). Catherine war Jack Byrons zweite Frau und er ehelichte sie 1785 wohl vor allem wegen ihres Vermögens, weswegen er “Gordon” als weiteren Nachnamen annahm. Ihr Sohn George verbrachte seine ersten Lebensjahre in Schottland. Jack Byron starb 1791 und George erbte 1798 den Titel des “Baron Byron of Rochdale” von seinem Großonkel, außerdem den Stammsitz der Familie, Newstead Abbey in Nottinghamshire, der allerdings in nahezu unbewohnbarem Zustand war. Obzwar die Familie sich in einigermaßen prekären Verhältnissen befand – der allergrößte Teil von Catherines Erbe war für die Tilgung von Jack Byrons Schulden draufgegangen –, besuchte George die noble Privatschule Harrow und später das Trinity College in Cambridge. Akademisch war er nicht gerade eine Leuchte, sondern erging sich in sexuellen Eskapaden (für die damalige Zeit pikanterweise – und nicht ungefährlich – auch mit Männern), Reiten, Boxen und Glücksspiel.

Als Dichter aktiv wurde Byron schon in der Schule; sein erster Gedichtband als Siebzehnjähriger wurde auf den Rat eines befreundeten Pfarrers hin verbrannt, da der Inhalt als zu skandalös galt. Diverse der darin enthaltenen Gedichte, zusammen mit anderen, erschienen 1809 unter dem Titel Hours of Idleness und wurden prompt anonym im Edinburgh Review verrissen, was Byron zu seiner ersten großen Satire, English Bards and Scotch Reviewers, inspirierte. Von 1809 bis 1811 unternahm er eine Grand Tour, wie sie damals für junge Adlige üblich war; wegen des Kriegs gegen Napoleon allerdings nicht durch Frankreich, Deutschland und Italien, sondern von Portugal nach Sevilla, Jerez de la Frontera, Cádiz und Gibraltar und von da per Schiff nach Sardinien, Malta, Albanien und Griechenland. Von dort ging es schließlich nach Smyrna und Konstantinopel und über Malta zurück nach England. Dort veröffentlichte er die ersten zwei Teile eines langen Gedichts, Childe Harold’s Pilgrimage, in dem er teils autobiografisch Elemente seiner Mittelmeerreise verarbeitete und das ihn augenblicklich berühmt machte (die erste Auflage von 500 Kopien war innerhalb von drei Tagen verkauft). In England dichtete er weiter, galt aber als skandalumwitterte Gestalt; nach einem vermuteten Verhältnis mit seiner Halbschwester Augusta Leigh, aus dem eine Tochter hervorging, heiratete er im Januar 1815 Anne Isabella (“Annabella”) Millbanke, die einen reichen Onkel hatte (Byron machte sich Hoffnungen, so seine Gläubiger beruhigen zu können). Am Ende desselben Jahres kam sein einziges eheliches Kind, die Tochter Ada, auf die Welt. Allerdings brachte seine fortgesetzte Untreue seine Frau gegen ihn auf; Annabella hielt ihn für geisteskrank, verließ ihn mitsamt ihrer Tochter im Januar 1816, und reichte die Scheidung ein. Dieser Skandal brachte Byron dazu, England zu verlassen und nie zurückzukommen.

Lord Byron in armenischer Tracht
Lord Byron in armenischer Tracht (Thomas Phillips (1770-1845), gemeinfrei)
Diesmal reiste er durch Belgien und den Rhein hinauf, bis er sich im Sommer 1816 am Genfer See im Dunstkreis des Dichters Percy Bysshe Shelley, dessen späterer Frau Mary Godwin, und einiger anderer britischer Bohemiens niederließ. Man verbrachte den total verregneten Sommer in einer Villa und vertrieb sich die Zeit mit dem Lesen und Schreiben fantastischer Literatur – Mary verfasste Frankenstein, oder der moderne Prometheus, John William Polidori (Byrons Leibarzt) Der Vampyr, sozusagen die Keimzelle der romantischen Vampirliteratur, und Byron den dritten Teil von Childe Harold. Byron überwinterte in Venedig, wo er einige Liebhaberinnen hatte und Interesse an armenischer Kultur entwickelte. Er lernte Armenisch und wurde Koauthor eines englischsprachigen Armenisch-Lehrbuchs und eines Wörterbuchs. Die nächsten Jahre verbrachte er vor allem in Italien (in Rom, Venedig, Ravenna, Pisa und Genua) bevor er von Anhängern der griechischen Unabhängigkeitsbewegung – Griechenland war damals Teil des Osmanischen Reichs – überredet wurde, sie in Griechenland zu unterstützen. Byron war sich nicht sicher, was er dort eigentlich tun sollte, aber nach einigem Hin und Her stimmte er zu und schloss sich einigermaßen uneingeschränkt der Sache der Griechen an, bis zu einem Punkt, wo er seine verbliebenen Ländereien in England verkaufte, um das Geld für die griechische Unabhängigkeit zu verwenden. Byron kam zuerst 1823 auf die Insel Kefalonia vor der griechischen Westküste (seit 1809 in britischem Besitz) und Anfang 1824 nach Messolonghi auf dem griechischen Festland. Er verbrachte mehr Zeit damit, Frieden zwischen den uneinigen Anführern verschiedener griechischer Freischärler-Gruppen zu stiften, als tatsächlich gegen die Türken zu kämpfen, kümmerte sich aber auch (mit Geld) um die humanitären Opfer des Krieges, sowohl Christen wie auch Moslems. Unglücklicherweise wurde er im Februar 1824 krank und starb schließlich am 19. April 1824, wohl nicht zuletzt wegen der Inkompetenz seines Arztes, Julius van Millingen. Als berühmter Dichter machte seine Gegenwart in Griechenland und vor allem sein tragischer Tod auf die Lage der Griechen aufmerksam und führten zu mehr Engagement in West- und Mitteleuropa für die griechische Unabhängigkeit. Noch heute wird seinem Andenken in Griechenland großer Respekt erwiesen – seit 2008 wird der 19. April dort als “Byron-Tag” begangen.

Lord Byron betrachtete sich als “halber Schotte durch Geburt, ganzer durch Erziehung” und hatte angeblich sein ganzes Leben lang einen leichten schottischen Akzent. Auch viele seiner Zeitgenossen betrachteten ihn als Schotten. Selbst in Griechenland hatten die meisten seiner engsten Freunde starke Verbindungen nach Schottland.

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Als nächstes nehmen wir uns den Strathspey, Swirling Snow, vor. Dieser Tanz stammt aus dem 7. Martello-Tower-Buch der RSCDS-Branch in Kingston, Ontario (Kanada) und wurde während des schneereichen Winters von 2004 von Ruth Taylor erfunden. Herausstechendstes Merkmal dieses echten Drei-Paar-Tanzes ist die Circulating Allemande, bei der die Paare 2 und 3 nach unten starten (respektive als führendes und letztes Paar einer auf den Kopf gestellten “normalen” Drei-Paar-Allemande), während das Paar 1 in der mittleren Position nach oben anfängt und die Bahn eines “mittleren” Paars tanzt. In jedem Fall entspricht die Bewegung genau der desselben Paars in einer “normalen” Allemande; man muss nur darauf achten, am Ende von Takt 4 “auf Lücke” zu stehen, so dass das 1. Paar wieder in der Mitte herauskommt.

Nach der Pause versuchen wir uns – mit dem verbliebenen Drei-Paar-Set unter Einbezug des Tanzlehrers – auf populären Wunsch hin noch einmal an Where the Snowflake Reposes, das diesmal zum Glück etwas besser funktioniert als im ersten Teil des Abends (auch wenn es gegen Ende hin nachlässt).

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Den krönenden Abschluss dieses etwas verkorksten Abends bildet ein anderer Tanz von John Drewry, passend zum Datum namentlich The Saint Nicholas Boat aus dem Canadian Book. Dies ist ein netter, aber ebenfalls nicht ganz unanspruchsvoller Jig – lustig ist der Tandem-Reel of Three in der Mitte (alle drei Paare tanzen als je eine Person), der sich in zwei parallele Reels of Three auf den Seitenlinien auflöst und dann dynamisch in einen Reel of Four über den Tanz übergeht. Im Drei-Paar-Set stellt der Tanz allerdings fortgeschrittene Ansprüche an die Kondition! – Seinen Namen hat er von der vorgeschlagenen Musik, So I'm off with the Good St Nicholas Boat von James Scott Skinner, das wiederum benannt ist nach einem Gedicht von William Hay Leigh Tester (bekannt als “Le Teste”). Mehr Details dazu sind im Traditional Tune Archive zu finden. Der echte St. Nikolaus war Erzbischof von Myra in Kleinasien, und neben seiner wohlbekannten Großzügigkeit gegenüber Kindern fungiert er als Schutzpatron von Seeleuten, Kaufleuten, Bogenschützen, reuigen Dieben, Brauern, Pfandleihern, unverheirateten Menschen und Studenten. Über Mangel an Arbeit dürfte er sich nicht beklagen können.

#NameTypeSetSource
1Where the Snowflake ReposesJ323/4LDrewry: Deeside 1
2Swirling SnowS323/3LTaylor: Martello Tower 7
3The Saint Nicholas BoatJ483/4LDrewry: Canadian

Text: Anselm Lingnau · Fotos: wie angegeben