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6. Februar 2024: Kalter Kohl und flotte Schritte

Unsere Ballvorbereitung macht weitere Fortschritte! Heute wiederholen wir einen Tanz von vor zwei Wochen und üben zwei neue – und auch in der zweiten Hälfte des Abends gibt es Interessantes zu entdecken.

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Los geht’s heute mit Light and Airy aus Buch 4. Diesen Tanz haben wir ausführlich vor zwei Wochen geübt und dort wurde so ziemlich alles Interessante darüber gesagt, was es zu sagen gäbe. Deswegen fassen wir uns hier heute kurz.

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Als Nächstes widmen wir uns der Figur Set to Corners and Partner, volkstümlich auch bekannt als Hello-Goodbye Setting (manchmal findet man ältere Tanzbeschreibungen aus den 1950er- und -60er-Jahren, wo noch von How-do-you-do-Goodbye Setting die Rede ist). Nach einer Pas-de-basque-Vorübung – mit Augenmerk auf Bewegung nach links auf den linken Pas de basque schauen wir uns die Figur selber an. Wichtig ist außer der nötigen Orientierung auch, zu versuchen, die Seitenlinien zu erreichen (aber falls das nicht klappt, ist das auch nicht das Ende der Welt).

Cauld Kail ist zu finden in Buch 9 der RSCDS und ist ein “Medley” – soll heißen, der Tanz beginnt im langsamen Strathspey-Tempo, aber wechselt nach 16 Takten für die zweite Hälfte auf das schnelle Reel-Tempo. Danach geht es für den nächsten Durchgang wieder zurück in den Strathspey, Stress für die Musiker:innen! Als Faustregel ist der schnelle Teil im Medley immer genau doppelt so schnell wie der langsame. Eine kleine Herausforderung in diesem Tanz ist das Rights and Lefts in vier Takten – richtig gehört: Die Figur ist dieselbe wie sonst auch, aber für jede Seite des Quadrats hat man nur einen Schritt/Takt und nicht wie sonst zwei. Zum Glück ist nicht verlangt, dass man in einem Schritt auf die andere Seite des Sets kommen muss, sondern es ist durchaus in Ordnung, die Figur etwas innerhalb des Sets zu tanzen.

Grünkohl
Grünkohl (Rasbak, CC BY-SA 3.0)
Der Grünkohl (Brassica oleacera sp.) ist ein traditionelles Grundnahrungsmittel in Schottland. Das geht so weit, dass das Kohlbeet (kailyard), oft neben den Hütten armer Familien zu finden, als sentimentale Verklärung das schottische Landleben versinnbildlicht. Autoren wie J. M. Barrie (bekannt vor allem durch Peter Pan) und George MacDonald sind Vertreter der “Kailyard”-Schule der schottischen Literatur etwa um die 1890er Jahre bis zum ersten Weltkrieg. Spätere Autoren lehnten die als flach und übermäßig idyllisch empfundenen Schilderungen ab, etwa Hugh MacDiarmid und die von ihm und anderen begründete Scottish Renaissance der 1920er.

Der Titel des Tanzes geht zurück auf ein altes Lied namens Cauld Kail in Aberdeen, von dem mindestens fünf Versionen bekannt sind (eine davon von Robert Burns). Die älteste erscheint 1776 in David Herds Ancient and Modern Scottish Songs, und die erste Strophe lautet

Cauld kale in Aberdeen,
And castocks in Strabogie,
But yet I fear they’ll cook o’er soon,
And never warm the cogie.
The lasses about Bogie gight,
Their limbs, they are sae clean and tight,
That if they were but girded right,
They’ll dance the reel of Bogie.

Kohlblätter gelten als kalt – bei warmem Wetter pflegte man die Butter in Kohlblätter einzuschlagen, um sie vor dem Schmelzen zu bewahren. Castocks sind die Strünke des Kohls, und Strabogie, kurz für Strathbogie, ist das Tal des Flusses Bogie in Aberdeenshire, das zu den Ländereien des Marquess of Huntly gehörte. Ein cogie ist ein hölzerner Napf für Porridge, Suppe oder auch Bier. Bogie gight bezieht sich auf Gordon Castle, ungefähr 30 km von Huntly entfernt. Schließlich muss man der Vollständigkeit erwähnen, dass they’ll dance the reel of Bogie bezogen auf Zweisamkeit durchaus Konnotationen hat, die weit über ein harmloses Tänzchen hinausgehen. Schottland im 18. Jahrhundert war vieles, aber gewiss nicht prüde – und die anderen Versionen werden mitunter noch ein bisschen direkter, so dass wir sie in einem Familienmedium wie diesem Blog lieber nicht zitieren wollen.

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Wie Light and Airy und Cauld Kail ein Tanz vom Frankfurter Ballprogramm ist Barry Priddeys Reel Whippety Stourie. Sein Alleinstellungsmerkmal ist eine gewitzte Kombination aus vier Takten Turn Corner-Partner und einem halben diagonalen Reel of Four mit den jeweils anderen Corners – clever, aber man sollte gut zu Fuß sein!

Im schottischen Volksgut besetzt “Whippety Stourie” die ökologische Nische, die bei den Gebrüdern Grimm vom Rumpelstilzchen eingenommen wird. Eine Version der Geschichte erzählt von einer armen alleinerziehenden Frau, die gezwungen wird, einer bösen Fee ihren Sohn zu versprechen – als Belohnung dafür, dass diese ihr krankes Schwein kuriert. Die Fee darf den Sohn laut den Feen-Regeln aber nicht sofort mitnehmen, sondern erst nach drei Tagen, und selbst dann nicht, falls es der Frau gelänge, den Namen der Fee herauszufinden. Die Frau ist völlig verzweifelt und irrt in der Umgegend ihrer armseligen Kate umher, wo sie zufällig in einem alten Steinbruch die böse Fee erspäht, die mit einem Spinnrad spinnt und dabei fröhlich singt,

Little kens my dame at hame, that Whippety-Stourie is my name.

Die arme Frau macht sich heimlich davon und kann mit diesem Wissen später ihren Sohn vor der bösen Fee retten.

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Nach der Pause kommen wir nochmal nach Aberdeen zurück, allerdings das Aberdeen der Moderne. Twixt Don and Dee ist John Drewrys Geschenk an die RSCDS Aberdeen Branch zu deren 50. Geburtstag, was den Tanz auf die frühen 1970er Jahre datiert (die Datenbank behauptet “1975”; eventuell ist es ein leicht verspäteter Gruß). Der Name bezieht sich natürlich auf die Stadt Aberdeen, die sich “zwischen Don und Dee” befindet – twixt ist eine archaische Form von between, und Don und Dee sind die beiden Flüsse, um deren Mündungen in die Nordsee sich die nach ihrer Einwohnerzahl drittgrößte Stadt Schottlands entwickelt hat.

Der Don ist 131 km lang und entspringt im Torfmoor unterhalb des Bergs Druim na Feithe, westlich des Orts Corgarff, und mündet nach einem verschlungenen Flußlauf unmittelbar nördlich von Old Aberdeen in die Nordsee. Ptolemäus von Alexandria nannte ihn im 2. Jahrhundert Δηουανα (Devona) oder “Göttin”, möglicherweise um darauf hinzuweisen, dass der Fluss als heilig galt. Bei Kintore, unweit des Don, befinden sich die Reste eines römischen Feldlagers aus dieser Zeit.

Fluss Dee bei Potarch
Fluss Dee bei Potarch (Colin Smith, CC BY-SA 2.0)
Die Quellen des Dee (Wells of Dee) liegen auf dem Braeriach-Plateau in den Cairngorms auf ungefähr 1200 m Höhe über dem Meer – die höchstgelegene Quelle eines größeren Flusses auf den britischen Inseln. Der Dee passiert den Linn of Dee, eine ungefähr 300 m lange felsige Schlucht, die ein Lieblingsplatz von Königin Victoria war. Danach fließt er vorbei an Braemar, Balmoral Castle und Ballater – die Gegend wird liebevoll “Royal Deeside” genannt –, dann weiter über Aboyne und Banchory und erreicht die Nordsee nach 140 km. Der Dee ist ein deutlich größerer Fluss als der Don und seine Mündung ist mitten im Hafen von Aberdeen, ca. 4 km südlich von der des Don.

Hafen von Aberdeen mit der Mündung des Dee
Hafen von Aberdeen mit der Mündung des Dee (Ragazzi00, CC BY-SA 3.0)
“Aber” ist ein brythonisches Präfix, das einen Zusammenfluss oder eine Mündung bezeichnet – in Schottland gibt es zum Beispiel auch noch Aberdour, Aberfeldy und (etwas verschliffen) Arbroath, das früher Aberbrothick hieß, und natürlich Aberystwyth in Wales. Swansea in Wales heißt auf Walisisch Abertawe, und Falmouth in Cornwall auf Kornisch Aberfal. “Brythonisch” ist ein Sammelbegriff für die “p-keltische” Sprache, aus der die heutigen Sprachen Walisisch, Kornisch und Bretonisch entstanden sind, und in der Sprachforschung geht man davon aus, dass die Sprache der Pikten, die früher in der Gegend von Aberdeen lebten, ebenfalls zumindest teilweise p-keltisch war. (Schottisches Gälisch ist eine “goidelische” oder q-keltische Sprache, die näher mit Irisch und Manx verwandt ist als mit Brythonisch.) Was das “deen” in “Aberdeen” angeht, ist die Lage etwas komplizierter – es kommt höchstwahrscheinlich von Devona, Ptolemäus’ Namen des Flusses Don (Aberdeen hieß früher “Aberdon”), und nicht, wie man eventuell zuerst annehmen würde, vom Fluss Dee. Da Aberdeen an beiden liegt, ist das aber vielleicht auch nicht so dramatisch.

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Wir beschließen den Abend mit Lady Susan Stewart's Reel, einem “Renntanz”, wie er im Buche steht (RSCDS-Buch 5, um genau zu sein) – aber der Umstand, dass wir gerade sowohl Turn Corner-Partner als auch Hello-Goodbye Setting geübt haben, ist einfach zu verlockend. Und die schmissige Musik von Reel of Seven sollte die Gruppe auch damit versöhnen, dass hier noch einmal lange Schritte verlangt werden, bevor das Tanzen vorbei ist.

Die Musik für den Tanz wurde 1754 von John Walsh in einer Ausgabe von Caledonian Country Dances als Lady Susan Stewart’s Reel veröffentlicht. Das ist auch die Quelle, auf die sich die Society in Buch 5 bezieht. Sie war aber schon vorher unter anderen Titeln im Umlauf – etwa bei David Young 1741 als Had the Lass till I win at her (“Halt das Mädel fest, bis ich es auf sie schaffe” – angeblich ging es da um ein Pferd, aber im 18. Jahrhundert, siehe oben, hätte das niemand wirklich geglaubt; creepy).

Lady Susannah Stewart (1742–1805) war die Tochter von Alexander Stewart, dem 6. Earl of Galloway, und der Titel des Tanzes könnte sich auf sie beziehen, auch wenn sie erst 12 Jahre alt war, als Walshs Buch erschien (extra creepy). Mit 26 heiratete sie Granville Leveson-Gower (1721–1803), den 2. Earl Gower, der 1786 zum Marquess of Stafford erhoben wurde. Sie war seine dritte Ehefrau. Aus der Ehe gingen drei Töchter und ein Sohn hervor; dieser – ebenfalls Granville Leveson-Gower (1773–1846) –, wurde später (1833) nach einer langen Karriere als Diplomat, etwa in Russland, Belgien, den Niederlanden und Frankreich, der 1. Earl Granville.

#NameTypeSetSource
1Light and AiryJ323/4LCampbell: RSCDS IV
2Cauld KailM323/4LRSCDS IX
3Whippety StourieR323/4LPriddey: Sutton Coldfield
4Twixt Don and DeeS324/4LDrewry: Deeside 2
5Lady Susan Stewart's ReelR323/4LRSCDS V

Text: Anselm Lingnau · Fotos: wie angegeben