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19. März 2024: Irischer Abend

Am 17. März feiern die Iren den Tag ihres Nationalheiligen, des hl. Patrick. Irland ist natürlich nicht so weit weg von Schottland, was mit etwas Fantasie auch fürs Tanzen gelten kann, und das ist Grund genug, auch zwei Tage später einen “irischen Abend” zu begehen (mit einer Ausnahme).

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Wir eröffnen das Programm mit The Belfast Hornpipe von Wes Clindinning (aus Kanada). Ein einfacher, aber lustiger Tanz und durchaus in der Reichweite von Anfänger:innen-Kursen.

An dieser Stelle vielleicht kurz ein paar Anmerkungen zum Thema “Hornpipe”. Wer das Repertoire ein bisschen kennt, hat eventuell schon gemerkt, dass manche Tänze als “Hornpipe” bezeichnet werden, auch wenn der Begriff unter den üblichen SCD-Genres – Jig, Strathspey, Reel – gar nicht aufzutauchen scheint. Die Antwort darauf ist ganz einfach: Von der Warte des Tanzens sind Hornpipes in der überwältigend allergrößten Mehrheit genau dasselbe wie Reels (zu den ganz wenigen Ausnahmen sagen wir später noch was). Der einzige Unterschied ist, dass sie als vorgeschlagene Originalmusik Stücke haben, die musikalisch als Hornpipes einzustufen sind.

Hornpipes (The Macadians)

Was natürlich sofort die nächste Frage aufwirft: Woran erkennt man denn einen “musikalischen” Hornpipe? Hundertprozentige Kriterien gibt es da wie immer nicht, aber ein paar Indizien können wir schon ausmachen:

  1. Der Name des Stücks enthält das Wort “Hornpipe” und/oder hat mehr oder weniger offensichtliche Anknüpfungspunkte an Schiffe oder die See. Titel wie Sailor's Hornpipe, The oder Jolly Tars (Lustige Teerjacken) sprechen für sich. (Allerdings gibt es, fairerweise, auch jede Menge “falsche Positive”.)

  2. Die Acht-Takt-Phrasen des Stücks enden auf ein deutlich hörbares POM-POM-POM. (Auch das ist kein absolutes Kriterium, aber schon ziemlich typisch.)

Hornpipe (Händel, Wassermusik)

Die musikalische Geschichte der Hornpipes ist lang und konfus – ursprünglich ein Stück für eine Pfeife aus Horn (daher der Name), konnte man sich in Playfords Zeit darunter noch ein eher gemächliches Stück im 3/2-Takt vorstellen, und Händels Wassermusik enthält einen Satz namens Hornpipe, der mit einem modernen SCD-Hornpipe praktisch nichts zu tun hat (im Hörbeispiel nebenan ist der Dreiertakt deutlich auszumachen). Unser heutiges Verständnis stammt eher aus der Zeit der Royal Navy in den Kriegen gegen Frankreich rund um die Wende des 18. zum 19. Jahrhunderts, wo die Seeleute sich, wenn sie mal gerade nicht mit Segel hissen oder Entern beschäftigt waren, die Zeit zum Beispiel mit Tanzen vertrieben. Der Sailor’s Hornpipe ist ja heute noch einer der beiden “Charaktertänze” im Repertoire der schottischen Wettbewerbe im Hochlandtanz und soll die Arbeit der Matrosen darstellen. (Der andere Charaktertanz – nur weil wir es sowieso schon vom St. Patrick’s Day haben – ist der Irish Jig, der das irische Tanzen auf die Schippe nimmt, in Gestalt einer wütend das Nudelholz schwingenden irischen Waschfrau, die ihren Ehemann ausschimpft, nachdem dieser im Pub mal wieder einen über den Durst getrunken hat.)

The Craggie Hornpipe (Colin Dewar)

Kurz noch zu den oben erwähnten Ausnahmen, wo Hornpipes keine Reels sind. Wenn man irische Musiker bittet, einen Hornpipe zu spielen, dann kommt dabei in der Regel etwas heraus, was für Schotten irgendwo in der Mitte zwischen einem Reel und einem Strathspey zu verorten ist, mit einem deutlich punktierten “Swing”. Wir Schottentänzer können damit nicht direkt etwas anfangen, aber der Tanzautor Rob Sargent führt seit einer Weile einen Ein-Mann-Kreuzzug, um “echte” Hornpipes als SCD-Genre neben den bekannten drei zu etablieren, mit bisher eher mäßigem Erfolg. Ob das auf Dauer einschlagen wird, ist vermutlich zweifelhaft, aber für Spaß auf Workshops reicht es allemal …

Zurück zu der Unsitte, manche Reels als “Hornpipes” zu bezeichnen, nur weil sie auf Hornpipe-Musik getanzt werden sollen: Einen praktischen Nutzen hat das nicht, außer dass neue Tänzer:innen verunsichert werden. Die Bezeichnung “Hornpipe” für einen Reel (solange es sich nicht um gewisse Werke von Rob Sargent handelt) ist zu vergleichen mit den Rallyestreifen auf dem Opel Manta. Wir sagen ja auch nicht “Marsch” zu The Duke of Atholl's Reel, “Two-Step” zu Ian Powrie's Farewell to Auchterarder oder “Slow Air” zu The Lea Rig, auch wenn die Musik jeweils ziemlich eindeutig dem entsprechenden Genre zuzurechnen ist – alle diese Tänze sind für uns Reels, Jigs und Strathspeys, auch wenn die Musikwissenschaft das anders sehen mag, denn Schritte und Figuren unterscheiden sich nicht von den “Archetypen” des Genres. Unbenommen bleibt uns dagegen, die Musik zu genießen, egal in welches Fach sie gesteckt werden könnte – und das sollten wir entsprechend ausnutzen!

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Unsere “unirische” Ausnahme heute abend ist The Eightsome Reel, den wir nach langer Zeit mal wieder tanzen, einfach weil wir (oder der Tanzlehrer?) Lust drauf haben. Wobei man Irland im Zusammenhang mit dem “Eightsome” nicht komplett außer Acht lassen sollte. Der Tanz, so wie wir ihn heute kennen und lieben, entstand gegen Ende des 19. Jhdts. im Dunstkreis der assemblies und meetings der schottischen Oberschicht; die Society schreibt ihn dem Earl of Dunmore und seinen Freunden zu und zitiert frühere round reels als Inspiration – wieviel davon zu halten ist, ist Interpretationssache, denn die letzten Country-Tänze in Square-Sets sind in Schottland um ca. 1730 nachgewiesen (die rechteckigen Wohnzimmer und Ballsäle hatten das Ihrige getan, zugunsten der Längssets), und dass der gute Earl von diesen irgendeine Ahnung hatte, ist höchst zweifelhaft. Eher, und da ziehen wir doch noch eine Querverbindung zum eigentlichen Thema dieses Abends, verweist der Begriff round reel, wie Hugh Thurston in Scotland’s Dances (TAC, 1984) ausführt, zurück auf die rinncì fighte, die irischen Set-Tänze, die – genau wie der moderne Eightsome Reel – typischerweise eine Einleitung haben, eine Figur, wobei dort Paare die Solo-Rolle übernehmen statt einzelnen Tänzer:innen, und einen Abschluss. Daneben sind natürlich auch die Einflüsse von Quadrille und Scotch Reel (mit der Abwechslung zwischen “Setten” und “Reelen”) nicht von der Hand zu weisen.

Nichtsdestotrotz ist der Eightsome Reel heute fester Bestandteil nicht nur der SCD-Szene (wo er allerdings gegenüber den 1970er Jahren, wo er oder eine seiner Variationen zumindest in Frankfurt auf fast jedem Ballprogramm zu finden war, an Bedeutung verloren hat), sondern auch bei Ceilidhs. Es ist also kein Fehler, ihn hin und wieder mal auszuprobieren, zumal, wann hat man schon mal Gelegenheit, sich in der Mitte eines Kreises zu produzieren? Hier geht alles vom schlichten Pas de basque über spring points und high cuts bis zu coupé und noch fortgeschritteneren Reel-Schritten – oder auch etwas ganz Anderes? Bauch- oder Breakdance sind jedenfalls nicht ausgeschlossen. 464 Takte pure Ekstase.

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Zumindest vom Namen her in irische Sphären entführt uns wieder Rory o'More (die etwas eigenartige Rechtschreibung ist so aus dem RSCDS-Buch 1 übernommen). Der irische Dichter Samuel Lover (1797–1868) verfasste 1826 einen Liedtext nebst Musik, der in familienfreundlich desinfizierter Weise die ländliche Liebe in Irland feiern sollte (siehe hier) und beim Publikum – auch in England und Schottland – so gut ankam, dass das Lied sogar 1837 bei der Krönung von Queen Victoria gespielt wurde. Rory O’Mores, oder Ruadhraí Óg Mórdhas, gab es in der irischen Geschichte ein paar, beginnend bei Rory, dem “König” von Laois (c. 1620–1655), der den Engländern unter Charles I. zu schaffen machte, und seinem Sohn.

Der Tanz wird von der Society als “collected locally” bezeichnet (soll heißen, die Großkopfeten haben ihn irgendwo getanzt gesehen) und passt gut in das typische Strickmuster aus dem 19. Jhdt, “Irgendwas, irgendwas, Down the middle and up, Poussette”.

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The Glens Of Antrim von Betty Smith aus Belfast dagegen ist ein moderner Tanz, erschienen im Belfast Branch 40th Anniversary-Buch. Gewidmet ist er Miss Nan Shaw, einem Gründungsmitglied der Belfast Branch, die schon 1938 im Vorstand der Belfast Scottish Country Dance Society, einem Vorläufer der Branch, amtierte.

Die Glens of Antrim liegen im Norden der gleichnamigen Grafschaft, einer der sechs traditionellen Grafschaften Irlands, aus denen heute Nordirland besteht. Es handelt sich um neun Täler, die sich vom Antrim-Plateau zum Meer hin erstrecken, und gelten als beachtliche Naturschönheiten und wichtige Touristenattraktion.

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Von Nordirland in die Republik Irland führt uns Dublin's Delights, wobei auch dieser Tanz eigentlich wieder aus Kanada kommt – er wurde von Carole Skinner anlässlich eines Besuchs ihrer Tanzgruppe in Dublin erfunden. Der Tanz ist ein 48-Takt-Jig im Square Set und durchaus ein bisschen anspruchsvoll (man ist viel in Bewegung), allerdings teilt er den Nachteil vieler solcher Tänze, nämlich dass man die allermeiste Zeit immer wieder mit denselbe Leuten tanzt.

Mit etwas über 1,2 Millionen Einwohnern (2022, mit Vororten) ist Dublin die größte Stadt und Hauptstadt der Republik Irland. Eine Siedlung ist dort spätestens mit dem 7. Jhdt. nachgewiesen, erst von Gälen, dann Wikingern. Mit der anglo-normannischen Invasion von Irland im 12. Jhdt. wurde Dublin zur wichtigsten Siedlung; nach dem Anschluss Irlands ans Königreich Großbritannien am Anfang des 19. Jhdts. (Resultat war das “Vereinigte Königreich von Großbritannien und Irland”) war Dublin kurzzeitig die zweitgrößte Stadt im britischen Empire und eine der größten in Westeuropa. Nach der irischen Unabhängigkeit 1922 wurde sie zur Hauptstadt erklärt und galt zumindest 2018 als eine der “Top Thirty”-Städte der Welt.

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Nochmal zurück in den Norden und zu City of Belfast von Lucy Mulholland, einem Tanz, der spätestens mit seiner (Wieder-)Veröffentlichung im RSCDS-Book 48 die SCD-Welt im Sturm erobert hat (eigentlich war für diesen Platz im Programm Dorothy Bells Saint Patrick's Strathspey geplant, aber das klappte aus set-theoretischen Erwägungen leider nicht – vielleicht ein andermal). Das mag auch mit der lyrischen Musik von Marian Anderson zusammenhängen, auf die wir heute in der Interpretation von StringFire! aus Kalifornien tanzen (sechsmal durch, aber es ist die Sache wert).

Belfast als Hauptstadt Nordirlands mit einer Bevölkerung von etwas über 670.000 im Metropolbereich (2021) ist natürlich in gewisser Weise der Gegenpol zu Dublin. Die Stadt wurde im 17. Jhdt. als englische Siedlung gegründet, aber dann vor allem von Presbyterianern schottischer Herkunft besiedelt. Diese legten sich prompt mit dem anglikanischen Establishment an, und 1798 kam es zu einem Aufstand, wo sie sich mit der katholischen Mehrheit gegen die englische Oberklasse im Land zu solidarisieren versuchten, um eine Republik zu gründen. Das ging natürlich, trotz französischer Unterstützung, schief und führte letztlich dazu, dass das irische Parlament aufgelöst und Irland an Großbritannien angeschlossen wurde. Der Stadt Belfast tat dies gut – es kam zu einer industriellen Transformation, und Anfang des 20. Jhdts. hatte Belfast die weltgrößte Leinen-Produktion und gut gehende Werften. Allerdings kam es immer wieder zu religiös motivierten Konflikten, die in den drei letzten Jahrzehnten des 20. Jhdts. in die troubles mündeten, die die britische Regierung nur durch massiven Militäreinsatz unterdrücken konnte. Seit dem “Karfreitags-Abkommen” von 1998 gibt es einen wackeligen Frieden, der durch den Brexit weiter unterminiert wurde, und die Probleme sind bei weitem noch nicht ausgestanden. Allerdings kann man davon ausgehen, dass es mittelfristig zu einer Wiedervereinigung von Nordirland mit der Republik kommen wird; die ungefähren Regeln dafür, wie das auf der Basis einer Volksabstimmung passieren könnte, sind bereits abgesteckt.

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Was wäre ein “irischer Abend” ohne Jimmy Coshs Tanz The Irish Rover, den modernen Klassiker auf der Basis des Lieds über die absurde (und in der Art von Moby Dick fatale) Seereise nach New York auf dem gleichnamigen Schiff? Genau. Darum hören wir auch mit diesem Tanz auf (wie immer auch ein bisschen im Andenken an das 2020 verstorbene FSCDC-Urgestein Gerd Jörger, dessen erklärter Lieblingstanz er war – auch wenn Gerd sich nicht immer genau erinnern konnte, wie er ging; das hat seinem Eifer aber keinen Abbruch getan, seufz).

Der FSCDC e.V. macht jetzt erst mal drei Wochen Osterferien – hier geht es weiter am 16. April.

#NameTypeSetSource
1The Belfast HornpipeR323/3LClindinning: Canada's Irish Rover
2The Eightsome ReelR4644SRSCDS II
3Rory o'MoreJ322/4LRSCDS I
4The Glens Of AntrimS323/4LSmith: Belfast 40th
5Dublin's DelightsJ484SSkinner
6City of BelfastS323/3LMulholland: RSCDS XLVIII
7The Irish RoverR323/4LCosh: 22 SCD

Text: Anselm Lingnau