6. Februar 2024: Kalter Kohl und flotte Schritte
Unsere Ballvorbereitung macht weitere Fortschritte! Heute wiederholen wir einen Tanz von vor zwei Wochen und üben zwei neue – und auch in der zweiten Hälfte des Abends gibt es Interessantes zu entdecken.
Cauld Kail ist zu finden in Buch 9 der RSCDS und ist ein “Medley” – soll heißen, der Tanz beginnt im langsamen Strathspey-Tempo, aber wechselt nach 16 Takten für die zweite Hälfte auf das schnelle Reel-Tempo. Danach geht es für den nächsten Durchgang wieder zurück in den Strathspey, Stress für die Musiker:innen! Als Faustregel ist der schnelle Teil im Medley immer genau doppelt so schnell wie der langsame. Eine kleine Herausforderung in diesem Tanz ist das Rights and Lefts in vier Takten – richtig gehört: Die Figur ist dieselbe wie sonst auch, aber für jede Seite des Quadrats hat man nur einen Schritt/Takt und nicht wie sonst zwei. Zum Glück ist nicht verlangt, dass man in einem Schritt auf die andere Seite des Sets kommen muss, sondern es ist durchaus in Ordnung, die Figur etwas innerhalb des Sets zu tanzen.
Der Titel des Tanzes geht zurück auf ein altes Lied namens Cauld Kail in Aberdeen, von dem mindestens fünf Versionen bekannt sind (eine davon von Robert Burns). Die älteste erscheint 1776 in David Herds Ancient and Modern Scottish Songs, und die erste Strophe lautet
And castocks in Strabogie,
But yet I fear they’ll cook o’er soon,
And never warm the cogie.
The lasses about Bogie gight,
Their limbs, they are sae clean and tight,
That if they were but girded right,
They’ll dance the reel of Bogie.
Kohlblätter gelten als kalt – bei warmem Wetter pflegte man die Butter in Kohlblätter einzuschlagen, um sie vor dem Schmelzen zu bewahren. Castocks sind die Strünke des Kohls, und Strabogie, kurz für Strathbogie, ist das Tal des Flusses Bogie in Aberdeenshire, das zu den Ländereien des Marquess of Huntly gehörte. Ein cogie ist ein hölzerner Napf für Porridge, Suppe oder auch Bier. Bogie gight bezieht sich auf Gordon Castle, ungefähr 30 km von Huntly entfernt. Schließlich muss man der Vollständigkeit erwähnen, dass they’ll dance the reel of Bogie bezogen auf Zweisamkeit durchaus Konnotationen hat, die weit über ein harmloses Tänzchen hinausgehen. Schottland im 18. Jahrhundert war vieles, aber gewiss nicht prüde – und die anderen Versionen werden mitunter noch ein bisschen direkter, so dass wir sie in einem Familienmedium wie diesem Blog lieber nicht zitieren wollen.
Im schottischen Volksgut besetzt “Whippety Stourie” die ökologische Nische, die bei den Gebrüdern Grimm vom Rumpelstilzchen eingenommen wird. Eine Version der Geschichte erzählt von einer armen alleinerziehenden Frau, die gezwungen wird, einer bösen Fee ihren Sohn zu versprechen – als Belohnung dafür, dass diese ihr krankes Schwein kuriert. Die Fee darf den Sohn laut den Feen-Regeln aber nicht sofort mitnehmen, sondern erst nach drei Tagen, und selbst dann nicht, falls es der Frau gelänge, den Namen der Fee herauszufinden. Die Frau ist völlig verzweifelt und irrt in der Umgegend ihrer armseligen Kate umher, wo sie zufällig in einem alten Steinbruch die böse Fee erspäht, die mit einem Spinnrad spinnt und dabei fröhlich singt,
Die arme Frau macht sich heimlich davon und kann mit diesem Wissen später ihren Sohn vor der bösen Fee retten.
Der Don ist 131 km lang und entspringt im Torfmoor unterhalb des Bergs Druim na Feithe, westlich des Orts Corgarff, und mündet nach einem verschlungenen Flußlauf unmittelbar nördlich von Old Aberdeen in die Nordsee. Ptolemäus von Alexandria nannte ihn im 2. Jahrhundert Δηουανα (Devona) oder “Göttin”, möglicherweise um darauf hinzuweisen, dass der Fluss als heilig galt. Bei Kintore, unweit des Don, befinden sich die Reste eines römischen Feldlagers aus dieser Zeit.
Die Musik für den Tanz wurde 1754 von John Walsh in einer Ausgabe von Caledonian Country Dances als Lady Susan Stewart’s Reel veröffentlicht. Das ist auch die Quelle, auf die sich die Society in Buch 5 bezieht. Sie war aber schon vorher unter anderen Titeln im Umlauf – etwa bei David Young 1741 als Had the Lass till I win at her (“Halt das Mädel fest, bis ich es auf sie schaffe” – angeblich ging es da um ein Pferd, aber im 18. Jahrhundert, siehe oben, hätte das niemand wirklich geglaubt; creepy).
Lady Susannah Stewart (1742–1805) war die Tochter von Alexander Stewart, dem 6. Earl of Galloway, und der Titel des Tanzes könnte sich auf sie beziehen, auch wenn sie erst 12 Jahre alt war, als Walshs Buch erschien (extra creepy). Mit 26 heiratete sie Granville Leveson-Gower (1721–1803), den 2. Earl Gower, der 1786 zum Marquess of Stafford erhoben wurde. Sie war seine dritte Ehefrau. Aus der Ehe gingen drei Töchter und ein Sohn hervor; dieser – ebenfalls Granville Leveson-Gower (1773–1846) –, wurde später (1833) nach einer langen Karriere als Diplomat, etwa in Russland, Belgien, den Niederlanden und Frankreich, der 1. Earl Granville.
# | Name | Type | Set | Source | |
---|---|---|---|---|---|
1 | Light and Airy | J32 | 3/4L | Campbell: RSCDS IV | |
2 | Cauld Kail | M32 | 3/4L | RSCDS IX | |
3 | Whippety Stourie | R32 | 3/4L | Priddey: Sutton Coldfield | |
4 | Twixt Don and Dee | S32 | 4/4L | Drewry: Deeside 2 | |
5 | Lady Susan Stewart's Reel | R32 | 3/4L | RSCDS V |
Text: Anselm Lingnau · Fotos: wie angegeben