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Chieftain o’ the Puddin’ Race

In unserer lockeren Folge landeskundlicher Beiträge über Schottland nehmen wir uns – aus gegebenem Anlass – das Nationalgericht vor: Haggis, Neeps & Tatties! Guten Appetit.

Haggis, Neeps and Tatties
Haggis, Neeps and Tatties (Anselm Lingnau, CC BY-SA 4.0)
Von Robert Burns besungen, vom Publikum entweder geliebt oder gehasst – das ist der Haggis, das schottische Nationalgericht. Wer als Tourist das Land der Wolken, Berge und Seen bereist, hört von Einheimischen die Geschichten über die kleinen pelzigen Tiere, die die schottischen Berghänge bevölkern und (ähnlich wie der bayerische Wolpertinger) auf der einen Körperseite längere Beine haben als auf der anderen, um trotz schrägem Untergrund den Körper in die Horizontale zu bringen. Die Fangmethode drängt sich entsprechend auf: Man muss den Haggis nur dazu bringen, sich umzudrehen, und schon kullert er den Hang hinunter und muss am Fuss des Bergs nur noch eingesammelt werden. Unter den mythischen Wesen Kaledoniens – vom Ungeheuer von Loch Ness bis zu den Kelpies, Selkies und was sich noch so alles dort tummelt – ist der Haggis vermutlich eines der umgänglichsten und sicherlich das wohlschmeckendste.

Aber Spaß beiseite: Was ist Haggis wirklich und wie wird er gemacht? Die prinzipielle Antwort darauf ist einfach. Haggis besteht aus Hafergrütze, einer Menge Pfeffer und den grob durchgedrehten unverkäuflichen Teilen eines Schafs, sauber verstaut im Magen desselben. Wie etwa die Pizza in Italien ein typisches Arme-Leute-Essen also. Wer es unbedingt genauer wissen muss, sollte weiterlesen, und alle anderen überspringen bitte den nächsten Absatz.

Außer dem Schafsmagen (als Verpackungsmaterial) benötigt man Herz, Lunge und Leber des Schafs, eine Ladung Rindertalg, Hafergrütze (wie gesagt), Zwiebeln, Massen von schwarzem Pfeffer, Salz und Cayennepfeffer. Zuerst wird der Schafsmagen sehr gründlich gewaschen, erst mit kaltem, dann mit heißem Wasser, dann wird er “auf links” gedreht und etwaige Reste von Magenschleimhaut sorgfältig mit der stumpfen Seite eines Messers abgeschabt, bevor er über Nacht in kaltem Salzwasser mariniert wird. Am nächsten Tag werden Herz und Leber vom Blut befreit, ebenfalls gründlich gewaschen, mit den Lungen in einem Topf mit kaltem Wasser getan und aufgekocht. (Unser Rezept empfiehlt, dabei darauf zu achten, dass die Luftröhre aus dem Topf heraushängt, damit allfällige Rest-Verunreinigungen herauslaufen können.) Nach 90 Minuten holt man die Herrlichkeit heraus, schneidet alles weg, was man nicht essen möchte (Luftröhre, Knorpel und so), und dreht Herz und Lunge durch; die Leber wird zur Hälfte gerieben (! – das Rezept sagt nicht, was mit der anderen Hälfte passieren soll). Das Ergebnis kommt in eine große Schüssel zusammen mit einem halben Pfund kleingehacktem Rindertalg und zwei gehackten Zwiebeln, dazu kommt noch eine große Tasse angeröstete Hafergrütze. Das Ganze wird dann großzügig mit Pfeffer, Salz, Muskatnuss und -blüte gewürzt, die Krönung bildet eine Prise Cayennepfeffer (oder zwei). Sobald die Kochbrühe Zimmertemperatur erreicht hat, fügt man genug davon hinzu, dass die Mixtur bedeckt ist und eine Konsistenz erreicht, die der Fachjargon “matschig” nennt. Damit wird der Magen, wieder umgestülpt, nur gut zur Hälfte gefüllt (damit noch Platz für die unvermeidliche Ausdehnung der Hafergrütze ist), der Inhalt ordentlich festgedrückt, um allfällige Luftblasen zu entfernen, und anschließend zugenäht. Danach kommt der Magen in einen Topf mit genug Wasser und einem Viertelliter Lammbrühe und wird mindestens drei Stunden lang ohne Deckel vehement gekocht – dabei notfalls kochendes Wasser nachgießen, damit er bedeckt bleibt, und ihn, falls er zu platzen droht, mit einer Nadel einstechen, um die Katastrophe zu vermeiden.

Die meisten Haggis-Köche vermeiden diesen Aufwand, indem sie den Haggis küchenfertig erwerben – in Schottland bei jedem Metzger oder an der Fleischtheke im Supermarkt, im Ausland in der Regel per Versandhandel über das Internet, ein Markt, der – jedenfalls was stilechte Haggisse außerhalb von Konservendosen angeht –, fest in der Hand von Macsween in Edinburgh zu sein scheint. (Den deutschen Generalimport hat der Dudelsack- und Schottenmoden-Vertrieb Kilts & More bei Heidelberg übernommen; da britische Haggis-Vertreiber seit dem Brexit nicht mehr nach Kontinentaleuropa liefern, ist das in Deutschland aktuell auch die einzige realistische Quelle.) Küchenfertigen Haggis gibt es in den verschiedensten Größen, vom familienfreundlichen Grapefruit-Format bis zu repräsentativen Exemplaren von mehreren Kilogramm für die Verwendung bei Burns Suppers und ähnlichen großen Gelegenheiten. Einen solchen Haggis muss man nur noch erwärmen, entweder in einem Wasserbad im Backofen oder in einem Topf, bis er ordentlich durchgekocht ist. (Es gibt auch Haggis in Dosen für den Vorrat – die besten Konserven enthalten einen richtigen kleinen Haggis im Plastik-Magen, während bei den weniger edlen Produkte nur die Haggis-“Füllung” in der Dose ist, à la “Hausmacher Presskopf”. Sowas muss man dann mögen, wir finden es ziemlich abscheulich.)

Veggie-Haggis
Veggie-Haggis (Anselm Lingnau, CC BY-SA 4.0)
Auch Leuten, die den vorletzten Absatz nicht genau gelesen haben, könnte es bei dem Gedanken schaudern, Schafs-Innereien zu sich zu nehmen. Für diese gibt es inzwischen vegetarische oder vegane Optionen, etwa ebenfalls von Macsween, wo laut deren Webseite “frisches Gemüse, Hülsenfrüchte, Hafergrütze, Saaten und Gewürze” verwendet werden, um etwas herzurichten, das zumindest in der Textur dem Original nicht unähnlich ist. Wer es mal selber versuchen will: Wir haben gute Erfahrungen mit diesem Rezept gemacht, dessen Resultat nach Farbe, Aussehen und Konsistenz weit näher an einem “richtigen” Haggis ist als der vegetarische von Macsween. Dabei gehen wir aber von der Vermutung aus, dass die unterschiedliche Optik beim Marktführer durchaus gewollt sein dürfte, damit es bei Tisch nicht zu folgenschweren Verwechslungen kommt, wenn – etwa bei Burns Suppers –, “echter” und veganer Haggis parallel gereicht werden. Hafergrütze als Zutat findet man hierzulande eher im Reformhaus oder Bioladen als im Supermarkt (in Schottland ist sie als Ausgangsstoff von Porridge natürlich ein weithin erhältliches Grundnahrungsmittel), während man sich den salzig-strengen Hefeextrakt Marmite aus dem Vereinigten Königreich mitbringen, im spezialisierten “britischen” Laden kaufen oder im Internet bestellen muss (in der Not tut es vielleicht auch “Vitam-R” aus dem Reformhaus, aber das hat nicht die gleiche erdige Note wie Marmite). Auch Veganer:inne:n ist der ultimative schottische Genuss also nicht verwehrt.

Das bringt uns zum Thema “Beilagen”. Natürlich ist man da sehr frei in seiner Auswahl – Haggis macht sich, wie Summer-School-Gänger:innen sicher wissen, gut in einer Lasagne und auch die Haggis-Pakoras, die indische Restaurants in Schottland manchmal anbieten, sind nicht zu verachten. Aber klassisch sind doch die “Neeps and Tatties” oder, wie man auf hochdeutsch sagen würde, Steckrüben und Kartoffeln – beide zu Brei verarbeitet, wobei die schottische Küche da noch subtil differenziert zwischen “champit tatties” und “bashit neeps”. Der operative Unterschied ist wohl, dass “champit” einen Schuss Milch impliziert und “bashit” nicht. Strenggenommen ist das dann auch schon alles – wobei selbstredend auch nichts dagegen spricht, zum Haggis eine Whiskysoße zu reichen oder auch einfach nur direkt ein Gläschen Whisky über ihm zu verteilen.

Steckrübe
Steckrübe (Rainer Zenz, CC BY-SA 2.5)
Die Steckrübe (Brassica napus subsp. rapifera oder auch Brassica napobrassica), auch Kohl- oder Runkelrübe genannt, spielt in der deutschen Küche nicht dieselbe Rolle wie in der schottischen (was sie natürlich irgendwie mit dem Haggis verbindet). Hierzulande gelten Steckrüben als Viehfutter oder höchstens als letzte Notreserve für ganz schlechte Zeiten, man spricht vom “Steckrübenwinter” 1916/17 oder von den steckrübenhaltigen Jahren unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg. Auch der Umstand, dass die Steckrübe 2017/18 zum “Gemüse des Jahres” erklärt wurde, hat ihrer Popularität nicht durchgreifend aufgeholfen. Dabei enthält sie wertvolle Nährstoffe und ist ziemlich kalorienarm (37 kcal/100g), da sie zum größten Teil aus Wasser besteht. Erhältlich sind Steckrüben manchmal in den Bio-Gemüseabteilungen großer Supermärkte oder sonst in Hofläden und auf dem Wochenmarkt.

Steckrüben sind nicht zu verwechseln mit den Speiserüben (Brassica rapa subsp. rapa), bekannt unter anderem als “Teltower Rübchen”, “Herbstrübe” oder auch “Bayerische Rübe”. Wo die Steckrübe vergleichsweise groß und braun-orange ist, ist die Speiserübe kleiner, eleganter und schwarz, grau oder weiß, oben gerne auch violett. Als Gemüse ist sie weitaus akzeptierter als ihre größere Kusine, die erwähnten “Teltower Rübchen” zum Beispiel sind eine gesuchte Delikatesse.

Die englische Sprache hat noch ein paar besondere Tücken zu bieten. In Schottland und Nordengland heißt die Steckrübe, wie erwähnt, turnip oder auf schottisch kurz neep, und die Speiserübe swede. Irgendwo auf der Reise nach Süden gibt es aber eine Sprachgrenze, wo sich das genau umkehrt. Wer also im Süden Englands ein Burns-Supper organisieren will, sollte also darauf achten, nach swedes als Gemüse zu suchen und nicht nach turnips. In den USA frage man nach rutabagas, denn turnips sind auch dort die Speiserüben. In Schottland wurden, bevor es Halloween-Kürbisse gab, übrigens Steckrüben ausgehöhlt und als Lampions benutzt; man muss die Ankunft des Halloween-Kürbis dort mit Freude begrüßt haben, ist ein solcher doch wesentlich leichter zu bearbeiten als die harte und zähe Rübe.

“Der König überall” – Friedrich II. inspiziert die Kartoffelernte
“Der König überall” – Friedrich II. inspiziert die Kartoffelernte (Robert Warthmüller (1859-1895), gemeinfrei)
Die Kartoffel (Solanum tuberosum) ist hier natürlich genauso populär wie in Schottland. Ursprünglich in Südamerika beheimatet, fand sie über die Kanarischen Inseln, Spanien und andere europäische Länder ihren Weg nach Deutschland, wo sie – zuerst als Zierpflanze – ab 1647 verbürgt ist. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts wurde mit dem Kartoffelanbau im großen Stil begonnen; viele Bauern sträubten sich zunächst gegen dieses neue Gewächs, angeblich auch, weil sie nicht wussten, dass es auf die unterirdischen Knollen ankommt, und statt dessen die (für Menschen leicht giftigen) Blätter und Beeren kochten und aßen. Friedrich der Große, König von Preußen, war ein vehementer Verfechter der Knollenfrucht, und er erließ im Laufe seiner Regierungszeit fünfzehn sogenannte “Kartoffelbefehle”, mit denen er den Anbau der Kartoffel in verschiedenen Provinzen Preußens durchzusetzen versuchte. Die Legende besagt, dass er die Kartoffelfelder auf seinen Gütern von Soldaten bewachen ließ, die angeblich die wertvollen Knollen schützen und jeglichen Diebstahl verhindern sollten. Das machte die Kartoffeln dann interessant, und die Bauern stahlen die Saatkartoffeln, um sie selbst anzubauen (während die Soldaten diskret in die andere Richtung schauten). An Friedrichs Grab in Sanssouci legen seine Verehrer:innen oft Kartoffeln nieder, um an diesen Einsatz zu erinnern.

Aber zurück nach Schottland: Der Haggis kann prinzipiell das ganze Jahr über genossen werden, aber besonderen Zulauf hat er natürlich am St. Andrew's Day Ende November und vor allem bei den Feierlichkeiten anlässlich des Geburtstags von Robert Burns, dem schottischen Nationaldichter, am 25. Januar (wobei der durchaus auch zwei Wochen früher oder später gefeiert werden kann, je nachdem, wie es terminlich so passt). Neben dem Haggis selbst und seinen Beilagen spielt dort auch Burns’ Ode an den Haggis eine wichtige Rolle.

Es ist angerichtet
Es ist angerichtet (Anselm Lingnau, CC BY-SA 4.0)
Bei einem Burns Supper nach altem Ritual wird der Haggis vom Koch auf einer großen Platte in den Saal getragen – vielleicht dekorativ mit Petersilie umlegt, wobei wir auch schon üppigere Deko gesehen haben, von den Wunderkerzen bis zur LED-Lichterkette. Vorneweg schreitet ein Piper mit laut heulendem Dudelsack, und dem Haggis folgt gemessenen Schrittes der Festredner, dessen Aufgabe es ist, die Ode vorzutragen. Die Prozession passiert jeden Tisch, damit alle sehen (und schnuppern) können, was es gleich Leckeres geben wird. Auf der Bühne werden Koch und Piper für ihre Mühe mit einem Gläschen Whisky belohnt und anschließend die Lobrede aufgesagt. An der richtigen Stelle in der dritten Strophe (“an’ cut ye up wi’ ready slight”) schneidet der Redner den Haggis mit einem großen Messer an, so dass die Füllung sich ihren Weg über die Servierplatte bahnen kann und der Duft den Saal erfüllt. Nach dem Ende des Vortrags verlassen Dudelsackspieler, Festredner und Koch die Bühne (eventuell gestärkt mit noch mehr Whisky) und das Mahl kann beginnen!


Ye Pow’rs wha mak’ Mankind your care
An’ dish them out their bill o’ fare,
Auld Scotland wants nae skinking ware
  That jaups in luggies;
But, if ye wish her gratefu’ prayer,
  Gie her a haggis!

Ihr Mächte, die Ihr Euch um die Menschheit kümmert
Und ihnen ihr Essen auftischt –
Das alte Schottland möchte kein dünnes Süppchen,
  Das in Näpfen herumschwappt;
Aber wenn Ihr sein Dankgebet wollt:
  Gebt ihm einen Haggis!

Text: Anselm Lingnau · Fotos: wie angegeben