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19. September 2023: In die Highlands mit Ysobel
Nach dem Einstieg letzte Woche geht es weiter mit einigen neuen
Figuren (Rights and Lefts und die Figure of Eight), der
Drei-Paar-Progression und Square Sets. Außerdem ein paar Tänze für die
Nicht-Anfänger:innen.
Nach dem Aufwärmen tanzen wir erst mal (wieder) den Virginia Reel. Zum einen ist das ein netter Tanz und zum anderen greift
er einige Figuren auf, die wir letzte Woche geübt haben (in
“richtigen” Country-Tänzen). Darum ist er eine bessere Option als ein
völlig anderer Ceilidh-Tanz; zu denen kommen wir bei Gelegenheit auch
wieder. – Es gibt diverse Versionen des Virginia Reel; er geht zurück
auf englische Country-Tänze aus dem 17. Jahrhundert, war aber am
populärsten in den USA von ca. 1830–1890 und kam von da zurück nach
Schottland. (Siehe auch unsere Überlegungen zu The Haymakers
vom 2. Mai 2023.)
Wir üben Rights and Lefts und lassen das erste Paar eine Acht um das
zweite Paar tanzen, als Vorbereitung für den Tanz A Trip to the Highlands. Dieser Tanz ist eine mehr oder weniger dreiste Ableitung
von The Highland Fair aus dem Graded Book –
2015 habe ich einen Wochenend-Workshop in St. Petersburg angeleitet
(in Russland gibt es eine aktive SCD-Gemeinde, die im Moment leider
einigermaßen vom Rest der Welt abgeschnitten ist) und musste einen
Unterrichtsplan für eine Stunde mit Anfänger:inne:n aufstellen, der am
Schluss nur aus Jigs bestand (inklusive The Highland Fair). Da ich
aber gerne zumindest einen Reel haben wollte, habe ich den größten
Teil von The Highland Fair behalten, die erste Figur ersetzt und den
Tanz zum Reel erklärt. So geht das manchmal. (Diagramm gibt’s aktuell
leider noch keins.)
Der letzte Tanz vor der Pause ist Mr Michael Bear's Reel,
erschienen im Second Graded Book der
RSCDS. Der Namensgeber des Tanzes ist ein etwas abgeliebter gelber
Teddybär, der auf der Kommode der Tanzerfinderin Stella Phillips sitzt. Das Neue für uns heute ist die Drei-Paar-Progression
im Vier-Paar-Set, die aber leider nicht so recht zum Tragen kommt,
weil wir in zwei Drei-Paar-Sets tanzen: Das Positive ist, dass die
Verwirrung viel geringer ist, aber das Negative ist, dass wir uns
nächste Woche nochmal mit dem Thema befassen müssen …
Nach der Pause widmen wir – oder genauer gesagt die Fortgeschrittenen
– uns wieder dem diesen Sommer neu
erschienenen Buch 53, spezifisch dem Tanz
Ysobel von John Drewry. “Ysobel” ist natürlich Ysobel
Campbell, später Mrs. Ian Stewart of Fasnacloich (1882–1968), die
Mit-Gründerin der RSCDS. Sie war am Anfang vielleicht sogar mehr die
treibende Kraft als Miss Milligan, aber da sie 1955 nach Südafrika
auswanderte und sich damit praktisch selbst effektiv aus der Tanzszene
entfernte, hatte Miss Milligan in den letzten 20 Jahren ihres Lebens
“freie Bahn” und relegierte Mrs. Stewart mehr oder weniger ins zweite
Glied.
– Zum 50. Jubiläum der RSCDS 1973 wurde ein
Buch veröffentlicht, das außer einigen Aufsätzen über die Geschichte
der Society drei Tänze enthielt, namentlich The Jubilee Jig,
Miss Milligan's Strathspey und Mrs Stewart of Fasnacloich (ein Reel).
Der letztere Tanz kam ursprünglich von John
Drewry, der ihn zuerst als Strathspey erfunden hatte; der Tanz wurde
allerdings vom Publications Committee der RSCDS zum Reel gemacht
(verständlich, weil es schon einen anderen Strathspey im Buch gab) und
noch an ein paar anderen Stellen geändert (siehe das nebenstehende
Diagramm – insbesondere ist der erste halbe Reel of Four
linksschultrig (!) und in den letzten acht Takten kommt das Setten am
Ende und nicht am Anfang). John Drewry war nicht amüsiert und
veröffentlichte den ursprünglichen Tanz einige Jahre später als
Strathspey unter dem Namen Ysobel, nicht ohne eine Anmerkung
hinzuzufügen: “My feeling, for a long time, has been that
Mrs. Stewart was never the same woman again after she was interfered
with by the committee!” (Buch 53 zitiert das übrigens als “… has
been that following the committee changes Mrs Stewart was never quite
the same” – ein Schelm, wer Böses dabei denkt …) Jetzt, 50~Jahre
später, widmet die Society sich auch dem Original; vielleicht eine späte
Genugtuung für John Drewry, von der er allerdings nicht mehr viel hat,
ist er doch 2014 verstorben.
Als nächstes ein Tanz von Roy Goldring:
The Barmkin stammt ursprünglich aus Graded and Social Dances 1 - 24 Dances, wurde aber
von der RSCDS im Second Graded Book
wiederveröffentlicht. Der Tanz ist ein 88-Takt-Reel in einem Square
Set und folgt dem gängigen Strickmuster “Die Kopfpaare machen etwas
und die Seitpaare machen es nach”, das immerhin für die ersten
64 Takte vorhält. (Danach kommen noch ein kleines Solo für die Damen
und dann für die Herren und ein Kreis für alle.)
Ein “Barmkin” ist übrigens ein Teil einer Burg oder ähnlichen
Gebäudes, in der Regel ein abgeteilter Bereich hinter der Außenmauer,
der z.B. dazu dient, Vieh vor Räubern zu schützen. Das Foto zeigt
Smailholm Tower in der Nähe von Kelso in den Borders, ein befestigtes
Gutshaus, das mit Sir Walter Scott in Verbindung gebracht wird; die
Mauer des Barmkin ist im Vordergrund.
Den krönenden Abschluss des Abends (wieder für die Fortgeschrittenen)
bildet ein anderer Tanz aus Buch 53, nämlich der
Pinewoods Reel von John Bowie Dickson, erfunden 1970
für Mrs. Richard Conant vom Pinewoods Camp – einem Wallfahrtsort für
Schottentänzer:innen auf der anderen Seite des
Atlantik. Pinewoods Camp ist in der Nähe
von Plymouth, Massachusetts (südöstlich von Boston), und dort fand der
erste Wochenend-Tanzworkshop in Nordamerika statt. Noch heute gibt es
jeden Sommer einen SCD-Tanz-und-Musik-Kurs in Pinewoods, der ein internationales
Publikum anzieht: Man übernachtet in Hütten und tanzt auf einer
überdachten Tanzfläche ohne Wände, bevor man sich im Long Pond
abkühlt. Essen und Musik dort gelten als göttlich, und der einzige
Nachteil sind dem Vernehmen nach die Mücken, die über die Anwesenden
herfallen. –
John Bowie Dickson (1919–1998) war ein produktiver Tanz-Erfinder,
manchen vielleicht bekannt durch The Wind on Loch Fyne,
Reel of the Puffins oder The Luckenbooth Brooch
(letzterer übrigens auch in Buch 53). Ich habe ihn in den 1990er
Jahren mal in Edinburgh getroffen, ein sehr jovialer und lustiger
Mensch. Die Originalmusik für den Tanz ist übrigens Da Tushker
von Ronnie Cooper (1934–1982), einem Akkordeon- und
Klavierspieler von den Shetland-Inseln. Ein tushker ist ein Werkzeug
zum Torfstechen.