16. April 2024: Sakura
Nicht nur in Japan blühen die Kirschbäume. Wir feiern diesen Anlass mit einem bunten Strauß von Tänzen aus dem “Land der aufgehenden Sonne” in einem etwas improvisierten Programm. Als Zugabe ist auch noch ein Tanz vom Karlsruher Ballprogramm dabei.
Eigentlich hatte ich ja mit ein paar Anfänger:inne:n gerechnet, die ich im März auf “nach den Osterferien” vertröstet hatte. Aber die haben den Termin anscheinend entweder vergessen oder doch etwas Besseres mit ihrer Zeit zu tun gefunden. Vermutlich kommen sie nächste Woche zum Rhein-Main-Mini-Social, wo wir nichts für sie tun können … aber naja. Also zum Plan B. Ich wollte im zweiten Teil ein paar Tänze aus Japan unterrichten, also machen wir für die Gekommenen (größtenteils Fortgeschrittene oder zumindest Nicht-mehr-ganz-Anfänger:inne:n) mehr davon.
Los geht’s nach der obligatorischen Aufwärmrunde mit Jubilee Stars von Shigeyoshi “Kobby” Kobayashi, aus der – jahreszeitlich passenden – Sammlung Kobby's New Dances for Cherry Blossom Time. Laut Kobby stellt der Tanz eine weniger anspruchsvolle Alternative zu John Drewrys Five Stars dar, ist aber trotzdem “nicht ohne”. Als zweiten Bezug zum großen Tanz-Erfinder aus Aberdeen greift er in den Takten 9–24 eine Figur aus dem Drewry-Tanz The Recumbent Stone auf. Wir tanzen den Tanz zweimal, und obwohl er stellenweise etwas “holpert”, finden wir doch, dass er sicher gut funktionieren sollte, wenn wir ihn nur noch ein bisschen übten …
Offiziell ist Tōkai eine Gegend in Japan an der Pazifikküste westlich von Tokio – der Name kommt vom Tōkaidō, der traditionellen ”östlichen Meerstraße”, die von Kyoto nach Edo (dem heutigen Tokio) führte. Die Reise auf dem Tōkaidō – zumeist zu Fuß oder in einer Sänfte – war in Japan ein beliebtes Thema in Literatur und Kunst, und sie wurde unsterblich verewigt in den 53 Etappen des Tōkaidō, einer Holzschnittserie des genialen Hiroshige (1797–1858), die ungeheuer populär war und zum Beispiel Van Gogh inspirierte. Hauptort des Tōkai ist die Industriestadt Nagoya, mit ihrer Metropolregion die drittgrößte Agglomeration in Japan und Sitz von wichtigen Firmen (Brother, Lexus, …) und Universitäten. Tanzmäßig hat die RSCDS Tokai Branch allerdings auch starke Bezüge nach Tokio, so dass sie eine Art Gegenpol zur RSCDS Tokyo Branch darstellt (Politik …).
Gotanda war bis in die Meiji-Zeit im späten 19. Jahrhundert ein ländliches Reisanbaugebiet und wurde erst in den 1910er und 1920er Jahren urbanisiert. Neben Restaurants und anderen Institutionen des Nachtlebens siedelte sich auch Industrie an. Nach dem zweiten Weltkrieg entwickelten einige Teile von Gotanda eine eher zweifelhafte Reputation, aber nachdem in den 1970er Jahren die Fabriken zu schließen begonnen hatten, wurde das Viertel Anfang des neuen Jahrtausends neu entwickelt und gilt heute als beliebter Ort zum Beispiel für IT-Startups, da es ÖPNV-mäßig gut erschlossen ist und die Mieten für Tokioter Verhältnisse vergleichsweise niedrig liegen.
Die Kirschblüte ist für Japaner:innen ein extrem wichtiges kulturelles Symbol für die Vergänglichkeit des Lebens und alljährlich Quelle der allgemeinen Verzückung, wenn die Blütenpracht im Frühling in einer Welle die japanischen Inseln von Süd nach Nord durchläuft. Hanami (花見), das “Blumen-Anschauen“, ist Anlass für fröhliche Picknicks bei Tag oder Nacht in der Zeit von Ende März bis Anfang Mai und bedarf sorgfältiger Planung, da die Kirschblüte an jedem Ort nur eine oder zwei Wochen andauert. In der fraglichen Zeit gehört die Kirschblütenprognose zur offiziellen Vorhersage der Japan Meteorological Agency. Sollte man die Kirschblüte verpassen, kann man sich immer noch der Pflaumenblüte widmen, deren Feier auch als etwas gesetzter gilt und mit der das Phänomen in der Nara-Zeit (8. Jhdt.) seinen Anfang nahm; die Kirsche gewann einige Jahrhunderte später die Oberhand und ist heute der Inbegriff der “Blume” jedenfalls für die Zwecke des hanami. Zunächst war hanami ein Zeitvertreib für den kaiserlichen Hof, später für den Samurai-Adel, und in der Edo-Zeit (17.–19. Jhdt.) schließlich auch fürs gemeine Volk. Kein Wunder, dass der Tanz Cherry Blossoms als Musik quasi zwangsläufig auf Sakura Sakura (“Kirschblüte, Kirschblüte”) zurückgreift, eine pentatonische Melodie, deren Bekanntheit in Japan höchstens mit der von Alle meine Entchen in Deutschland zu vergleichen ist. Ob sie sich uneingeschränkt zum schottischen Tanzen eignet, bleibe mal dahingestellt, aber es ist auf jeden Fall eine Abwechslung.
(An dieser Stelle vielen Dank an Yulia Nedogreeva für den Vorschlag, Cherry Blossoms zu unterrichten.)
# | Name | Type | Set | Source | |
---|---|---|---|---|---|
1 | Jubilee Stars | R40 | 5/5L | Kobayashi: Kobby's New Cherry Blossom Dances | |
2 | Ecclefechan Feline | J32 | 3/4L | McMurtry: Petit Chat | |
3 | Celebrate Ten and Twenty Years | S32 | 3/3L | Takahashi: Clara 20th & Saltire 10th | |
4 | Peatys Jig | J32 | 3/4L | Masaka: Tokai 25th Anniversary | |
5 | Cherry Blossoms | S32 | 2/4L | Boyd: World .. Corner | |
6 | Pink Panda's Picnic | J32 | 4/4L | Kobayashi: Kobby's New Cherry Blossom Dances |
Text: Anselm Lingnau · Fotos: wie angegeben